Kapitel 2: Meine Geburt (1977)

Oder: Wie alles begann!

Ich erblickte am Freitag, dem 16. September 1977 um 19:57 Uhr das Licht der Welt, pünktlich zur Tagesschau. Dort hätte ich, wenn wir damals ein Fernseher im Kreißsaal des Knappschafts-Krankenhauses in Bottrop gehabt hätte, sehen können, dass die Opernsängerin Maria Callas und der Sänger und Gitarrist Marc Bolan von der Band T-Rex an diesem Tag gestorben waren.  Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte am Mittag eine Regierungserklärung zum Fall des Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer abgegeben, der elf Tage zuvor von der RAF entführt wurde.  Und der Bundespostminister, ja sowas gab es damals noch, kündigte die Einführung eines Zeittakt-System für Telefongebühren bei Ortsgesprächen an, die es so bis dahin nur für Ferngespräche gab.

ich, kurz nach meiner Geburt
Ich kurz nach meiner Geburt

Selbst wenn es damals einen Fernseher gegeben hätte, hätte es mich aber wohl kaum interessiert. Mein Vater hatte während meiner Geburt auf dem Flur warten müssen. Wer genau meine Nabelschnur durchgeschnitten hatte, weiß ich daher nicht. 

Kurz nach meiner Geburt erfuhr ich, dass ich Thorsten heißen sollte. Das fand ich ganz gut, denn wäre ich ein Mädchen geworden, hätte ich Andrea geheißen. Nicht dass ich diesen Namen nicht schön finde, aber da mein vier Jahre älterer Bruder schon Andreas hieß, wäre das nicht so toll gewesen. Hätten wir dann noch einen Bruder bekommen, hätten meine Eltern ihn womöglich noch Andre genannt. Das wäre bestimmt gut gewesen, wenn uns unsere Mutter zum Essen gerufen hätte. Andre, Andrea, Andreas – Essen kommen. Oder schneller Andre – A – S – Essen kommen!

Nach der Geburt, kamen ich zusammen mit meiner Mutter auf die Neugeborenen-Station. Auf dem Zimmer war auch eine türkische Mutter, die ihre dritte Tochter zur Welt gebracht hatte. Als ihr Mann mitbekommen hatte, dass ich ein Junge war, dunkle Haare und braune Augen hatte, wollte er mich gegen seine neugeborene Tochter eintauschen. „Ich hab schon drei Mädchen. Ich will Junge. Du tauschen?“, soll er meinen Vater gefragt haben.

Mein Vater hat es nicht gemacht. Sonst würde ich heute vielleicht Ali heißen. Aber wenn ich so recht darüber nachdenke,  höre ich auch heute deshalb noch oft die Frage, aus welchem Land ich komme? „Bist du Türke oder Spanier oder sowas?“ Vielleicht bin ich ja doch vertauscht worden und der türkische Vater wollte eine Tochter und hat mich dafür eingetauscht, das würde einiges erklären.  Hätte ich doch mal einen Gentest gemacht. So sehr mich aber meine Eltern geliebt hatten, wusste ich, dass ich nicht ver- oder getauscht wurde.

Fortsetzung folgt…

Hier ist noch ein Video mit der Tagesschau von meinem Geburtstag. Schade, dass dort noch nicht von meiner Geburt berichtet wurde……


Kapitel 3: Der Ursprung des Seins: meine Eltern

Meine Mama

Meine Mutter, Brigitte, Jahrgang 1948, war bei meiner Geburt 28 Jahre alt. Sie war eine geborene Hümmerich. Geboren wurde sie in Schönebeck an der Elbe. Zu jener Zeit lag die Stadt in der sowjetischen Besatzungszone, die im Oktober 1949 zur Deutschen Demokratischen Republik – DDR – wurde. 1951 zogen meine Großeltern zusammen mit meiner Mutter und ihrem älteren Bruder nach Heidelberg am Neckar,  um kurze Zeit später weiter nach Bottrop zu ziehen, wo mein Opa Arbeit gefunden hatte. Er selber wurde in Essen geboren und wollte daher unbedingt wieder zurück ins Ruhrgebiet.

Nach der achtjährigen Schulzeit auf der Volksschule machte meine Mutter eine Ausbildung zur Verkäuferin in einem Backwaren- und Lebensmittelladen in Bottrop. Vor Abschluss ihrer Ausbildung hatte sie eine Blinddarmentzündung, als sie bei Verwandten im Urlaub war. Der Krankenwagen brauchte unendlich lange sie in ein Krankenhaus zu bringen. Als meine Mutter dort ankam, wurde ihr in einer Not-OP der Blinddarm entnommen. Sie erzählte einmal, dass der Blinddarm kurz vor dem Durchbruch war und sie das vielleicht nicht überlebt hätte. So wäre ich fast nie entstanden. Von der Operation zeugte eine lange Narbe an ihrem Bauch. 

Nachdem sie 4 Wochen später ihre Ausbildung wieder aufnahm, verlangte ihr Chef, dass sie Säcke mit Mehl tragen sollte, jeder war 50kg schwer. Ihr Arzt hatte ihr untersagt, solche schweren Sachen zu heben und daher verweigerte sie diese Aufgabe.  Nachdem ihr Chef ihr freundlich sagte, dass sie dann gehen könne, ging sie nach Hause und kam kurz darauf mit ihrem Vater zurück. Er machte dem Herrn dann die Lage klar und beendigte den Ausbildungsvertag seiner Tochter.  Kurze Zeit später begann meine Mutter bei Siemens in Gladbeck zu arbeiten, wo sie Verbindungseinheiten für Telefon zusammenbaute.

Mein Papa

Mein Vater, Edgar, Jahrgang 1944, war bei meiner Geburt 33 Jahre alt. Die ersten Jahre seiner Kindheit verbrachte er in einer kleinen Bergarbeiter Siedlung, unweit der Zeche Prosper II, auf der sein Vater als Schreiner arbeitete. Im Jahre 1951 hatten seine Eltern genug Geld gespart, um sich ein kleines Häuschen am Stadtrand kaufen zu können. Und so wuchs mein Vater in einem Neubau-Viertel auf, in einem Haus, dass auf zwei Etagen gerade Mal 63m² Wohnfläche hatte, wobei die obere Etage dazu noch vermietet war. Zusammen mit seinen beiden jüngeren Schwestern und seinen Eltern lebte er in der 3-Zimmer-Wohnung. Im Stall hinter dem Haus wurden Nutztiere, wie Schweine oder Hühner gehalten und im eigenen Garten baute mein Opa Obst und Gemüse an.

In seiner Jugend hatte mein Vater regelmäßige Ohrenentzündungen und daher lag er im Alter von 13 Jahren 9 Monate lang in einem Krankenhaus, wo Ärzte versuchten, seine empfindlichen Ohren zu behandeln. Da die Medizin aber noch nicht so weit war, musste links das komplette Innenohr entfernt werden. Rechts führte die Entzündung zu einer Reduzierung der Hörfähigkeit.  

Seine Schwerhörigkeit störte ihn nicht sehr, und als er seine Ausbildung zum Maurer machte, verschaffe er sich in der Berufsschule immer extra Bedenkzeit, weil er seine Lehrer immer wieder aufforderte die Aufgabe noch einmal zu wiederholen, auch wenn er sie bereits beim ersten Mal verstanden hatte.

Auf dem Bau arbeitete mein Vater dann zwischen 1958 und 1968 im Akkord, mauerte ein Haus nach dem anderen und erlebte so manche interessante Geschichte. Gegen Ende dieser Zeit lernte er Brigitte kennen. Die beiden verliebten sich und wollten schnell heiraten. Denn nur wenn man verheiratet war, konnte man damals eine gemeinsame Wohnung mieten.

1968 wurde es ruhiger in der Bauindustrie, meine Mutter verdiente als ungelernte Kraft bei Siemens mehr als mein Vater und so wechselte mein Vater auf die Kokerei Prosper in Bottrop und begann hier eine Tätogkeit als einer von 60 Ofenmaurern. Ein Jahr später, am 9. Mai 1969 heirateten meine Eltern im Bottroper Standesamt, einen Tag später kirchlich in der evangelischen Martinskirche in der Bottroper City. Die anschließende Feier wurde mit der Super-8-Kamera meines Vaters im Bild festgehalten, zumindest beinahe. Leider hat mein Vater vergessen, eine Filmrolle einzulegen, und so wunderte sich mein Onkel, der damals 11 Jahre alt war, dass er minutenlang Filmen konnte, ohne das die Kamera ausging. Ninja, immerhin gibt es Fotos von diesem Tag.

Meine Eltern bezogen damals eine Bergarbeiter Wohnung im Bottroper Stadtteil Ebel, nur wenige hundert Meter von Papas Elternhaus entfernt. Da es aber ziemlich weit zu ihren beiden Arbeitsstätten war, zogen meine Eltern dann im Jahr 1972 in die Boy um. Hier hatten sie eine 73m² große Wohnung mit eigenen Garten und genug Platz um hier eine kleine Familie groß zu ziehen. Im August 1973 kam mein Bruder Andreas zur Welt. Vier Jahre, 3 Wochen und 6 Tage später folgte ich dann.

Hochzeitsfoto meiner Eltern vom 9. Mai 1969
(Das Datum sollte 45 Jahre später wieder eine wichtige Rolle spielen)