Kapitel 8: Loch im Kopf

In den Sommerferien 1986 habe ich mit vielen anderen Nachbarskindern auf einer großen Brachfläche hinter den Häusern auf der anderen Seite der Straße gespielt. Zu der Gruppe gehörten mein Bruder, sein Schulfreund Thomas mit seinen beiden Brüdern, Stefan, aus dem Haus gegenüber und noch einige andere Kinder, an die ich mich nicht mehr genau erinnern kann.

Wir spielten immer Räuber und Gendarm und bauten uns aus Sperrmüll und Ästen einen kleinen Unterschlupf. Irgendwann bastelten wir uns aus Stöcken und einem starken Band Flitzebögen. Aus langen, geraden Stöcken schnitzten wir uns Pfeile und schossen damit auf verschiedene Ziele.

An einem Nachmittag war auch Christoph, ein Freund, den ich noch aus dem Kindergarten kannte, auf dem Platz. Da wir uns lange nicht gesehen hatten, zogen wir uns in den Garten seiner Eltern zurück, der an das unbebaute Grundstück grenzte, um allein spielen zu können.

Einer der Jungen, der ein paar Häuser weiter wohnte und als Raufbold bekannt war, besaß statt eines selbst gebastelten Bogens einen professionellen Bogen, einen sogenannten Bärentöter. Der schoss natürlich viel präziser und weiter als die anderen selbstgebauten Bögen. Außerdem hatte der Junge seine Pfeile mit Nägeln gespickt, damit sie besser fliegen und ihr Ziel treffen. Immer wieder forderte er uns auf, wieder auf den Platz zu kommen und mitzuspielen. Aber wir hatten keine Lust mehr. Irgendwann flogen Pfeile durch die dichte Hecke. Wir waren wütend, warum man uns nicht einfach in Ruhe ließ.

Mein Bruder, der irgendwo auf der anderen Seite der Hecke spielte, merkte nicht, in welcher Situation wir uns befanden. Und dann passierte es. Ein Pfeil flog fast lautlos durch die Hecke auf mich zu. Ich stand mit dem Rücken zum Schützen, als mich der Pfeil plötzlich am Hinterkopf traf. Wütend rannte ich durch eine kleine Lücke in der Hecke auf den Jungen zu und schrie ihn an, warum er auf mich schieße. Er rannte weg und ich folgte ihm. Ich war schon etwas dicker als der Junge, den ich verfolgte, aber das fiel unter den Umständen kaum auf. Ich verfolgte ihn fast 300 Meter über das Feld bis zur Johannesstraße, wo er nach Hause lief. Als ich merkte, dass ich ihn nicht mehr einholen konnte, rannte ich zu den anderen zurück. Ich ahnte nicht, was mein Bruder kurz darauf feststellen sollte. In meinem Hinterkopf steckte zwischen den dichten Haaren noch die Spitze des Pfeils, der mich getroffen hatte, der Rest war abgebrochen. Zum Glück blutete es kaum.

Plötzlich wurde mir übel. Mein Bruder und die anderen Jungen brachten mich nach Hause. Meine Mutter rief sofort meinen Vater an und wir fuhren ins Knappschaftskrankenhaus am anderen Ende der Stadt. In der Notaufnahme wurde ich sofort in ein Behandlungszimmer gebracht und der Arzt schaute sich den abgebrochenen Ast in meinem Schädel genauer an und wir erzählten, was passiert war und dass es vielleicht ein Nagel in dem Pfeil gewesen sein könnte. Da ich noch laufen konnte, sollten wir erst einmal zum Röntgen gehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit hatten wir die Röntgenbilder in der Hand und selbst wir als medizinische Laien konnten sehen, dass kein Nagel zu sehen war.

Zurück in der Notaufnahme wurde ich in den Operationssaal gebracht. Ich musste mich alleine auf den OP-Tisch setzen, während der Arzt ein Tablett mit verschiedenen Pinzetten, Skalpellen, Zangen und anderem OP-Besteck vorbereitete. Dann schaute er mich an und sagte: „Nimm das hier. Dann stellte er sich hinter mich und zog mit der Pinzette den Rest des Pfeils heraus. Die Wunde hatte schon aufgehört zu bluten. Ich bekam einen großzügigen Verband und wurde entlassen. Ich sollte mich ausruhen und meine Eltern sollten auf Anzeichen einer Gehirnerschütterung achten.

Als wir wieder zu Hause waren, ging meine Mutter mit mir zu den Eltern des Jungen, der geschossen hatte. Sie nahmen ihm den Bogen weg, und in den nächsten Wochen spielte er nicht mehr mit uns.

Für den nächsten Schultag bekam ich im Krankenhaus ein Attest. Aber anstatt am nächsten Tag zu Hause zu bleiben, ging ich in die Schule und erzählte allen stolz meine Geschichte, wie ich mit einem Flitzebogen angeschossen worden war.

Einen anderen Unfall mit einer Platzwunde an der Stirn hatte ich einige Jahre zuvor. Damals, im Alter von etwa 6 Jahren, bemerkte ich, dass mir schwindelig wurde, wenn ich mich längere Zeit um die eigene Achse drehte. Das hat wohl jeder schon einmal erlebt. Meine Eltern haben mich ermahnt, damit aufzuhören, bevor ich noch irgendwo gegenlaufe.

Aber wie man als Kind nun Mal so ist, will man nicht auf seine Eltern hören. Und so drehte ich mich auch auf dem Hof hinter unserem Haus, auf dem mein Papa damals seine gelben Ford Taunus gewaschen hatte. Es war etwa gegen 16 Uhr, als ich zu taumeln begann und dann ohne Kontrolle mit der Schläfe gegen die Mauer an der Treppe knallte. Sofort schoss das Blut aus meiner Stirn. Meine Mutter hielt mich fest und mein Vater holte aus der Garage schnell ein paar weiße Tücher, die normalerweise zum Aufsaugen von Öl genutzt wurden. Lange sollten die Tücher nicht weiß bleiben. Ein Tuch nach dem anderen saugten sich voll Blut, das aus eine Platzwunde direkt an der Augenbraue lief es unaufhaltsam weiter. Kurzerhand packten mich meine Eltern auf den Rücksitz des offenstehenden Autos und wir fuhren zur etwa ein Kilometer entfernten Hausarzt-Praxis von Dr. Amazadeh. Er war Chirurg und dort war ich bestens aufgehoben. Schnell wurde ich in den OP der Praxis gebracht. Ich erinnere mich noch genau, wie er meiner Mutter sagte, dass sie sich auf den Stuhl setzten sollte, während er seine Zigarette in einem Aschenbecher an der Wand ausdrückte. Damals war es noch vollkommen normal, selbst in einer Arztpraxis zu rauchen.

Aber den Stuhl hatte mein Vater nötiger, weil er kein Blut sehen konnte und so nahm er Platz, während meine Mutter meine Hand hielt. Nachdem die Stelle mit einer Spritze betäubt würde, nähte der Arzt die Platzwunde mit drei Stichen. Ich bekam noch ein Pflaster auf die Wunde und wor konnten nach wenigen Minuten die Arztpraxis wieder verlassen.

Heute erinnert mich immer noch die kleine Narbe über meinem rechten Auge an diesen Tag. Und jedes Mal, wenn meine Kinder anfangen sich zu drehen, damit ihnen auch schwindelig wird, ermahnen ich sie. Ich erzähle Dann immer, dass ich mich Mal böse verletzt habe und dass sie es besser nicht machen sollten. Aber wie Kinder nun Mal sind, hören sie nicht auf ihre Eltern und machen munter weiter, genauso wie ich damals.